Franziskus empfängt die Wundmale,
Fresko von Giotto da Bondone

Lange Nacht der Kirchen 2018
in der Minoritenkirche



Was willst Du, dass ich tun soll, Herr
- Die Gotteserfahrung des Franz von Assisi

Lesung und
Musik

für die "Lange Nacht der Kirchen" am 25. Mai 2018


Verfasser: Dr. Manfred Zips.

Erzähler: Dr. Manfred Zips
Franziskus: P. Valentin Solomon OFM Conv.
Rezitator: Christiane Zips.

Musik: Mario Eritreo (Orgel).

Meditationen:

  Antonius von Padua (2009)
 
Giordano da Giano (2009)
 
Jacopone von Todi (2009)
 
Franziskus v. Assisi (2010)
 
Coelestin V. (2011)
 
Westportal (2011)
 
Ludwig von Toulouse (2012)
 
Heilige der Kongregation (2013)
 
Heilige Cäcilie (2014)
 
790 Jahre Minoriten (2014)
  230 Jahre Maria Schnee (2014)
  Klemens M. Hofbauer (2014)
 
Katharinenkapelle (2015)
  390 Jahre It. Kongregation (2015)
 
Frauen im Banne der Minoritenkirche (2016)
 
Eine Liebeserklärung in Stein (2016)
   Franziskus v. Assisi (2018)


 L.N.K. in der Minoritenkirche




Franziskusfresko aus dem Lettner des abgebrochenen Langchores der Wiener Minoritenkirche

 

Musik

ERZÄHLER: In der berühmten Sammlung ‚Blümlein des heiligen Franziskus von Assisi’, den Fioretti, die – ebenso wie Dantes Divina Commedia - am Anbeginn der italienischen Literatur stehen, fragt der demütige und gottesfürchtige Bruder Masseo den verehrten Vater der Minderbrüder: „Warum dir? warum gerade dir?“ „Was meinst du damit?" wendet Franziskus ein. „Warum läuft gerade dir alle Welt nach? Du bist nicht schön von Gestalt, du bist nicht sehr gelehrt und du bist nicht adelig! Warum gerade dir?“ Als Franziskus, der Poverello von Assisi, diese Worte vernimmt, wendet er sein Angesicht gegen den Himmel und verharrt regungslos einige Minuten in dieser Haltung. Dann kniet er nieder und spricht zu seinem Mitbruder: „Du willst wissen, warum gerade mir das zuteil geworden ist? Gott wollte in Seiner Barmherzigkeit allen Menschen dieser Welt durch mich, den Sünder, den Untauglichen, den Armen und Einfältigen, Trost zusprechen, gleichzeitig aber auch die Mächtigen und Stolzen beschämen und aufrütteln und zur Umkehr bewegen.“

Wahrscheinlich ist bei keinem anderen Heiligen des Mittelalters die religiöse Ausstrahlung – trotz einer beträchtlichen literarischen Hinterlassenschaft - so eng mit seinem konkreten Leben verwoben wie bei Franz von Assisi. Schon er selbst verwies in der letzten Schrift, dem ‚Testament’, kurz vor seinem Tod im Jahre 1226 entstanden, auf seinen allmählichen Wandel vom Sünder zum „servus Dei“, zum ‚Knecht Gottes’ und nennt diesen Lebensrückblick eine ‚Erinnerung, Ermahnung, Aufmunterung’ für seine Brüder; keineswegs aber sei damit eine zweite Regel gemeint. Es geht ihm darum, der Welt zu zeigen, dass man auch heute – im Bewusstsein der eigenen Unzulänglichkeit - ein Leben nach dem Evangelium führen könne.

 

 


Das Kreuz von San Damiano


Franziskus erhält den Auftrag,
der Kirche Christi erneut Glanz zu verleihen,
Fresko von Giotto da Bondone

 

Als Sohn des reichen Tuchhändlers Pietro di Bernardone verbrachte der junge Franziskus, welcher eigentlich auf den Namen Johannes getauft worden war, eine unbeschwerte und freudenreiche Jugendzeit, bis ihn zwei Begebenheiten aus seiner Sorglosigkeit herausrissen: eine einjährige Kriegsgefangenschaft in Perugia im Jahre 1202 und anschließend eine längere Krankheit, die den Jüngling ans Bett fesselte. – Und dann kam das Gotteserlebnis in dem einsamen, halb zerfallenen Kirchlein San Damiano. Dorthin zog sich Franziskus jetzt gerne zurück, um vor dem alten, im romanisch-byzantinischen Stil auf Holz gemalten Bild des Gekreuzigten zu beten; zwar war ihm der Glaube an Gott schon seit seinen Kindertagen sehr vertraut, doch er spürte nun – nach diesen ersten leidvollen Erfahrungen – ein stärkeres Verlangen, dem Allmächtigen zu begegnen.

FRANZISKUS: Allmählich lernte ich zu verstehen, dass die lange Krankheit im Grunde genommen eine Gnade war. Sie hatte die Aufgabe eines Pfluges, der Furchen in die Erde gräbt, um das Aufblühen neuen Lebens im Frühjahr zu ermöglichen. Sie raubte mir die naive Unbekümmertheit und gab mir einen neuen Blick auf das Wichtige in meinem Leben. Vor allem nahm ich nun erstmals Armut und Leid wahr. Jetzt verstand ich plötzlich den Psalmvers: Sie haben Augen und sehen nicht. Ich habe früher nicht gesehen! Jetzt nahm ich die Sonne mit neuen Augen wahr, und ebenso den Mond, die Erde mit ihrer Pflanzen- und Tierwelt, aber auch die Mitmenschen, meine Schwestern und Brüder. Alles erschien mir wie neu: die Sonnenauf- und –untergänge, die ginsterbewachsenen Hügel, die Mohnfelder. Und damals lernte ich auch neu zu beten. Dank sei Gott, Dank der Erde, Dank der Natur! GOTT, wer war Gott für mich? Es fiel mir schwer, diese Frage zu beantworten. Als Sohn umbrischer Erde war mir – wie allen Bewohnern dieses Landes - der Glaube an Gott selbstverständlich. Ich erlebte Ihn, den Allmächtigen, wie alle Menschen hier, in unseren Olivenhainen und in unserer üppigen, verschwenderischen Natur. Es ist wohl kaum wirklich möglich, sich diesem Gotteserlebnis zu entziehen! Und dennoch war es für mich ein großer Schritt von diesem alltäglichen Glauben zu dem Gefühl der Hingabe, das mich nun in Spoleto überwältigte und mich das Pauluswort sprechen ließ: ‚Was willst Du, dass ich tun soll, Herr!

Da vernahm ich die Stimme des Herrn, der zu mir sprach: „Franziskus, siehst du nicht, dass mein Haus in Verfall gerät? So geh und stelle es mir wieder her!

ERZÄHLER: Der große Bonaventura macht die Reaktion Francescos auf diesen göttlichen Auftrag zum Spiegelbild früher minoritischer Geistlichkeit: Einerseits begann Franziskus in einem unmittelbaren wörtlichen Verständnis jener Worte des Herrn als einfältiger Gottesknecht mit dem Wiederaufbau des verfallenen Kirchleins, andererseits lehrte der Poverello in späteren Jahren seine Brüder, dass er durch die Eingebung Gottes die spirituelle Bedeutung des himmlischen Auftrages sehr wohl erkannte, welche sich auf jene Kirche bezog, die sich Christus mit seinem Blut erworben hatte.

Das Bewusstsein, dass es der Gekreuzigte war, der ihm eine Weisung gegeben hatte, eröffnete in Franziskus eine innige Beziehung zu dem leidenden und damit die Erlösung vollziehenden Christus. Diese neue Haltung erklärt auch seine künftige Solidarität mit den Armen, Hilflosen und Ausgestoßenen. Hören wir, was er darüber in seinem Testament sagt:

FRANZISKUS: „Als ich in Sünden war, kam es mir sehr bitter vor, Aussätzige zu sehen. Und der Herr selbst hat mich unter sie geführt, und ich habe ihnen Barmherzigkeit erwiesen. Und da ich fortging von ihnen, wurde mir das, was mir bitter vorkam, in Süßigkeit der Seele und des Leibes verwandelt. Und darnach hielt ich eine Weile inne und verließ die Welt. Und der Herr gab mir in den Kirchen einen solchen Glauben, dass ich in Einfalt so betete und sprach: ‚Wir beten dich an Herr Jesus Christus – in allen deinen Kirchen, die in der ganzen Welt sind – und preisen dich, weil du durch dein heiliges Kreuz die Welt erlöst hast.’

 


Franziskus verzichtet auf weltlichen Besitz,
Fresko von Giotto da Bondone

 

ERZÄHLER: Diese Hinwendung zu den Armen machte Franziskus gleichsam zum Dieb an dem elterlichen Besitz. So empfand es zumindest sein Vater Pietro di Bernardone, der seinen Sohn schließlich – nachdem dieser in dem nahegelegenen  Foligno kostbare Stoffe heimlich verkauft hatte – vor dem Bischof von Assisi, Guido, verklagte. Lassen wir Franziskus selbst von jener denkwürdigen Begebenheit vor der alten Kathedralkirche „Santa Maria Maggiore“ erzählen.

FRANZISKUS: Wer jung ist, wie ich es damals war, der geht keine Kompromisse ein, wenn es sich darum handelt, seine Überzeugungen in die Tat umzusetzen. Mir erschien meine Vorgangsweise durchaus gerechtfertigt und ganz im Sinne des göttlichen Gebotes, den Armen am Reichtum meines Vaters großzügig Anteil zu geben. Natürlich sah mein Vater die Dinge anders, und in seinem verletzten Stolz war er nicht bereit, eine davon abweichende Ansicht gelten zu lassen: Seines Erachtens war sein Sohn verrückt geworden. Tatsächlich musste sich für die Menschen rund um mich ja wirklich diese Meinung aufdrängen. Man hatte sich sein Christentum mit Kirchgang und Messbesuch bequem zurechtgezimmert und es seinem Alltagsleben angepasst; und jetzt kam da jemand, der der bürgerlichen Gesellschaft die Meinung ins Gesicht schleuderte, dass SIE der Dieb sei und die Armut der Vielen verursacht habe. Ja, das gab ich in leidenschaftlichem jugendlichem Zorn meinem Vater zu verstehen, als ich mich all meiner vornehmen Kleider entledigte und nun nackt vor dem Bischof und vor allen anwesenden Menschen stand: „Von nun an heiße ich nicht mehr Franziskus, Sohn des Pietro di Bernardone, sondern ich bin Franziskus, der Gott seinen Vater nennen darf!“ – Ich weiß nicht, war es Scham oder Liebe – oder beides -, die den Bischof veranlasste, seinen Mantel um meine Schultern zu werfen.

 



Das Kirchlein Portiuncula
im heutigen Zustand
 

 

ERZÄHLER: Und wieder können wir das Testament Francescos als Leitfaden heranziehen: „Niemand zeigte mir, was ich zu tun hätte, doch der Höchste selbst hat mir geoffenbart, dass ich nach der Vorschrift des heiligen Evangeliums leben sollte“. – Franziskus bezieht sich hier auf ein Erlebnis, das er in dem Porziuncola-Kirchlein, zu Füßen der Stadt Assisi, wahrscheinlich am 24. Februar 1208, hatte. Dort hörte er das Evangelium von der Aussendung der Jünger, wohl nach Matthäus aus dem 10. Kapitel, vielleicht ergänzt durch die analogen Stellen aus Markus und Lukas, um zu verdeutlichen, was die Gefährten Jesu nicht besitzen dürfen: kein Gold und kein Silber, keine Geldbörse, keinen Reisebeutel, kein Brot, keinen Stab, keine Schuhe und keine zwei Leibröcke; in dieser Schutzlosigkeit und Ausgeliefertheit sollten sie das Reich Gottes und die Buße predigen. Als Franziskus das vernahm, freute er sich und rief: „Das ist es, was ich will, das ist es, was ich suche, das begehre ich von ganzem Herzen zu tun“. Es war das begeisterte Verlangen des jungen Mannes, die Forderung des Evangeliums buchstäblich zu erfüllen; darum legte er Schuhe, Stab und Beutel ab, machte sich eine Kutte in Kreuzesgestalt aus grobem Stoff und band sein neues Kleidungsstück mit einem Strick zusammen. So ging er zu den Menschen und begann im Auftrag Jesu, die Buße zu predigen, wobei er jeden, der ihm begegnete, mit den Worten ansprach „Der Herr gebe dir seinen Frieden!“ Thomas von Celano betont ausdrücklich, dass die schlichten Worte Francescos wie loderndes Feuer in die Herzen der Zuhörer drangen, und nicht wenige seien unter Mitwirkung des Herrn Kinder des Friedens geworden.

Musik

 


Der Traum von Papst Innozenz III.:
Franziskus stützt die kippende Kirche,
Fresko von Giotto da Bondone


 Papst Innozenz III. bestätigt die Ordensregel,
Fresko von Giotto da Bondone

 

FRANZISKUS: Schon während meiner Einsiedlertage verspürte ich, dass ich nicht für die Einsamkeit geschaffen war, sondern für die Gemeinschaft. Immer wieder flehte ich zu Gott, er möge mir Gefährten schicken, die mit mir in völliger Armut, und somit frei von jeglichen weltlichen Sorgen und Verpflichtungen, die frohe Botschaft Gottes verkünden könnten. Und wirklich kamen sie schon sehr bald aus allen sozialen Schichten: reiche Bürger, Adelige, Kleriker, Handwerker, Fahrende; Bernhard von Quintavalle, Petrus Catanii, Ägidius, Filippo, Masseo, Leone, Rufinus, Pazificus, Silvestro, Angelo von Rieti, um nur einige zu nennen. Wir gingen gemeinsam, aber auch zu zweit oder zu dritt, zu den Menschen, ließen uns von Schmähungen und Beschimpfungen nicht beirren, freuten uns aber umso mehr, wenn wir freundlich und liebevoll aufgenommen wurden. Die größte Freude erlebten wir allerdings, als Papst Innozenz unsere apostolische Lebensweise durch freundliche und ermutigende Worte bestätigte. Nach der Rückkehr aus Rom zogen wir durch mein geliebtes Spoletotal zuerst nach Rivotorto und dann weiter zu der nahe gelegenen Porziuncola-Kirche. Es waren diese Tage die glücklichsten in meinem Erdenleben. Damals hatte ich die Kraft und die Begeisterung, nicht nur hinauszugehen und Buße zu predigen oder Briefe zu schreiben, ich wollte auch für meine Gefährten sorgen wie eine Mutter für ihre Kinder. Besonders das Kirchlein S. Maria degli Angeli von Porziuncola stimmte mich unendlich froh, weil ich spürte, dass man dort der Fürsprache der Gottesmutter in besonderer Weise begegnen konnte und dass sich gerade hier – mehr als anderswo in der Welt - der Ort der Sündenvergebung befand.

In diesen Jahren schrieb ich viel: Briefe, Ermahnungen für meine Mitbrüder, Gebete, Meditationen, Loblieder.

Ein Brief, an Bruder Antonius von Padua, ist mir in sehr guter Erinnerung. Wir sprachen damals im Kreise der Gefährten über die Wichtigkeit theologischer Ausbildung für unsere Berufung als Bußprediger, und dabei nannte man immer wieder ehrfurchtsvoll den Namen dieses jungen portugiesischen Mitbruders, den ich nur einmal bei unserem Generalkapitel in Assisi im Jahre 1221 zu Gesicht bekam. Ich versuchte in dem Schreiben, meine Verehrung für diesen Gelehrten durch die Anrede „mein Bischof“ auszudrücken:

Brief an den heiligen Antonius: Dem Bruder Antonius, meinem Bischof, wünsche ich, Bruder Franziskus, Heil. Ich erlaube dir, dass du den Brüdern die heilige Theologie vorträgst, wenn du nur nicht durch dieses Studium den Geist des Gebetes  und der Hingabe auslöschest, wie es in der Regel steht.

Noch einen anderen mir sehr wichtigen Gedanken versuchte ich in einem Brief zu formulieren, diesmal an Kleriker und Laien, Männer und Frauen, die in verschiedenen religiösen Gemeinschaften lebten. Dabei ging es mir um das Beispiel, welches uns Jesus Christus gab, das ich aufzunehmen und an meine Zeitgenossen weiterzugeben trachtete. Vereint in diesem Streben nach einer „Perfectio evangelica“, einem möglichst vollkommenen apostolischen Leben, vermögen wir „würdige Früchte der Buße zu bringen“, wie der Evangelist Lukas sagt, ja wir können Christus gleichsam gebären, indem wir durch ein heiliges Wirken anderen als Vorbild in der Nachfolge des Erlösers leuchten.

 


Franziskus empfängt die Wundmale Christi,
Ikone aus dem 13. Jh.


 

ERZÄHLER: An dieser Stelle soll auch der von Franziskus verfasste Lobpreis Gottes seinen Platz finden, den der Heilige dem Bruder Leo widmete, wobei er ihn aufforderte, dieses Blatt sorgfältig bis zum Tage seines Todes aufzubewahren. Zweifellos ist es diesem Umstand zu verdanken, dass diese “Chartula fratri Leoni data“ bis heute erhalten geblieben ist. Doch damit nicht genug; Bruder Leo versah dieses von Franziskus mit eigener Hand geschriebene Dokument auf der Rückseite unter anderem mit dem Hinweis: Der selige Franziskus hielt zwei Jahre vor seinem Tod in der Niederlassung des La Verna zu Ehren der seligen Jungfrau Maria, der Mutter Gottes, und des seligen Erzengels Michael ein vierzigtätiges Fasten vom Feste der Aufnahme der heiligen Jungfrau Maria bis zum Feste des heiligen Erzengels Michael im September. Und es legte sich die Hand des Herrn auf ihn; nach Vision und Anrede eines Seraphs und Einprägung der Wundmale Christi in seinem Leib verfasste er diese Lobpreisungen, die auf der anderen Seite des Blattes geschrieben stehen, und schrieb sie mit eigener Hand, indem er Gott für die ihm verliehene Wohltat dankte. Auch aus diesem Schriftstück können wir die Fürsorge des Heiligen für die ihm anvertrauten Brüder ablesen.

Lobpreis Gottes:

Du bist der heilige Herr, der alleinige Gott, der du Wunderwerke vollbringst.

Du bist der Starke.

Du bist der Große.

Du bist der Erhabenste.

Du bist der allmächtige König, du heiliger Vater,

König des Himmels und der Erde.

Du bist der dreifaltige und eine Herr, der Gott aller Götter.

Du bist das Gute, jegliches Gut, das höchste Gut, der Herr, der lebendige und wahre Gott.

Du bist die Liebe, die Caritas.

Du bist die Weisheit.

Du bist die Demut.

Du bist die Geduld.

Du bist die Schönheit.

Du bist die Milde.

Du bist die Sicherheit.

Du bist die Ruhe.

Du bist die Freude.

Du bist unsere Hoffnung und Fröhlichkeit.

Du bist die Gerechtigkeit.

Du bist das Maßhalten.

Du bist all unser Reichtum zur Genüge.

Du bist die Anmut.

Du bist die Barmherzigkeit.

Du bist der Beschützer.

Du bist unser Wächter und Verteidiger.

Du bist die Stärke.

Du bist die Erquickung.

Du bist unsere Hoffnung.

Du bist unser Glaube.

Du bist unsere Liebe.

Du bist unsere ganze Wonne.

Du bist unser ewiges Leben: Großer und wunderbarer Herr, allmächtiger Gott, barmherziger Retter. 

 

 
Darstellung der Hl. Klara,
Fresko von Simone Martini


Franziskus predigt zu den Vögeln,
Fresko von Giotto da Bondone

 

ERZÄHLER: Franziskus erlebte aber noch eine weitere große Freude und Genugtuung als Frucht seines Wirkens und seiner Predigttätigkeit: Unmittelbar an dem Platz vor dem Dom S. Rufino lebte eine der bedeutendsten adeligen Familien Assisis, nämlich Favarone di Offreduccio und seine Frau Ortolana mit ihren drei Töchtern Klara, Agnes und Beatrice. Als Klara etwa siebzehn Jahre alt war, erfuhr sie von Franziskus und fühlte sich sogleich von seiner Lebensform angesprochen. Als sich die Beiden schließlich auch persönlich kennenlernten, gelang es dem Poverello, das Mädchen für seine Ideen zu begeistern und sie zum Verzicht auf die Welt und alle irdischen Dinge zu bewegen. Am Palmsonntag des Jahres 1212 verließ Klara heimlich des Nachts ihren elterlichen Palast und stieg zur Porziuncola-Kirche hinab, wo sie von der versammelten Brüdergemeinschaft schon erwartet wurde. Feierlich schnitt ihr Franziskus die langen Haare ab und erteilte ihr so die Jungfrauen-Weihe; darauf brachte er sie sofort in das nahegelegene Frauenkloster San Paolo und bald darauf in das Benediktinerinnenkloster Sant’Angelo di Panzo, um sie so dem Zugriff ihrer Familie zu entziehen. Nur sechzehn Tage später flüchtete dann die etwa fünfzehnjährige Schwester Agnes zu Klara. Beide Mädchen brachte Franziskus kurz darauf nach S. Damiano, wo sich diesen dann noch eine dritte Frau anschloss. San Damiano blieb nun bis auf weiteres die Wohnstätte Klaras und ihrer Gefährtinnen.

ERZÄHLER: Wenn man über Franziskus spricht, ist irgendwann auch von seiner innigen Beziehung zur Natur die Rede. Dabei dachte der Heilige natürlich nicht an Naturschutz im modernen Sinne, vielmehr bewegte ihn der Gedanke, dass der Mensch als Kind Gottes zur gesamten Schöpfung – ob belebt oder unbelebt - in einem geschwisterlichen Verhältnis steht. Schon Thomas von Celano erwähnte die bekannte Vogelpredigt Francescos nahe Bevagna im Spoletotal, wo dieser - „um der übergroßen Liebe des Schöpfers willen“ - eine große Schar von Vögeln begrüßt, wie wenn sie mit Vernunft begabt wären.

Besonders eindrucksvoll wird die Haltung Francescos gegenüber der Schöpfung in ihrer Gesamtheit durch die berühmte Erzählung Der Wolf von Gubbio veranschaulicht, die in den altitalienischen Fioretti überliefert ist. Die Bewohner von Gubbio, einer Stadt in Nordumbrien, werden von einem Wolf in Schrecken gehalten, der nicht nur für das Vieh, sondern auch für die Menschen äußerst gefährlich und lebensbedrohend ist. Schließlich wagt es keiner mehr, die Stadt zu verlassen, nur Franziskus geht dem Raubtier furchtlos entgegen und gebietet ihm im Namen Gottes, von der Gewalt abzulassen. Als das Tier daraufhin eingeschüchtert seinen Gehorsam bekundet, vertreibt es der Heilige nicht, sondern er verspricht dem ‚Bruder Wolf’, für dessen Nahrung Sorge zu tragen. Gehorsam wie ein Lamm folgt nun das Tier dem Fratello in die Stadt, wo daraufhin ein Vertrag zwischen den Bewohnern und dem Wolf geschlossen wird. Franziskus nimmt also bei dieser Gelegenheit nicht nur das Raubtier, sondern auch die Menschen in die Pflicht und fordert von beiden Seiten, sich auf einen fairen Frieden einzulassen. Sogleich verspricht das Volk, das Tier regelmäßig mit Futter zu versorgen. Darauf herrscht in der Stadt große Freude und die Menschen loben Gott und danken dem Heiligen für seine Hilfe. Zwei Jahre lang fütterten nun die Bewohner von Gubbio den Wolf, und als er zuletzt starb, trauerten die Menschen über seinen Tod, denn durch den täglichen vierbeinigen Besucher wurden sie stets erneut an die Heiligkeit und die Tugenden Francescos erinnert.

Natürlich versinnbildlicht diese erbauliche Fabel den unbeirrbaren Friedenswillen Francescos, natürlich dokumentiert sie, dass Feindschaften in gegenseitigem Misstrauen und in Furcht vor dem Fremden ihre Wurzeln haben, sie bringt jedoch auch den tiefen Respekt des Heiligen vor allen Geschöpfen Gottes zum Ausdruck, auf dem der gesamte Handlungsablauf dieser Erzählung basiert.

Doch kehren wir jetzt aus dem Reich der Legende zurück zur Lebenswirklichkeit Francescos, wie sie seine Biographen beschrieben haben!

Im Jahre 1224 trugen sich die geheimnisvollen Ereignisse auf dem Berg La Verna zu, einer Anhöhe zirka 160 km nordwestlich von Assisi, im toskanischen Casentino gelegen. Höhepunkt dieses Geschehens war die Stigmatisation des Heiligen. Angeregt durch die Nachempfindungen des bekannten italienischen Schriftsteller Carlo Carretto, dürfen wir Franziskus folgende Eindrücke in den Mund legen:

 

 
Franziskus empfängt die Wundmale Christi,
Westportal der Wiener Minoritenkirche


Franziskus empfängt die Wundmale Christi,
Fresko von Giotto da Bondone

 

FRANZISKUS: Der Ort, wohin ich mich in diesen Tagen der Sorge um meinen Orden am liebsten zurückzog, war der Berg von La Verna, wo die Brüder eine kleine Einsiedelei errichtet hatten. So beschloss ich, die vierzigtägige Fastenzeit vor dem Fest des Erzengels Michael am 29. September in dieser totalen Abgeschiedenheit zu begehen. Meine Gedanken kreisten damals ausschließlich um die Passion Christi, und ich erlebte mein eigenes Leid als ein Stück des Leidens unseres Herrn, doch es fiel mir vorerst sehr schwer, meine Zukunftsängste durch das Gebet zu besänftigen, schon allein deshalb, weil meine Getreuesten mich immer wieder aufforderten, erneut die Ordensführung zu übernehmen. um den Zerfall der so groß gewordenen Gemeinschaft zu verhindern. In der Nacht nach unserer Ankunft betete ich ohne Unterlass jenen Psalm 22, den Jesus am Kreuz gesprochen hatte: Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen? Die Aufforderung der Brüder, mich nochmals an die Spitze unserer Gemeinschaft zu stellen, ließ das Verantwortungsgefühl für meinen Orden zentnerschwer auf mir lasten; doch schließlich erkannte ich, dass das an Abraham gerichtete Wort Gottes: Bring mir deinen Sohn als Opfer dar auch für mich galt und ich spürte, dass ich das Schicksal der Minderbrüder in die Hand des Allerhöchsten legen sollte, dass ich meine Vorstellungen und Wünsche zu meinem eigenen Wohlergehen Gott zu opfern hatte – ebenso wie Jesus einstens seine Hingabe zum Heil der Menschen dem Vater darbrachte. Darauf bat ich Christus, er möge mich seine Schmerzen am Kreuze spüren lassen und erflehte Seine Liebe für die sündige Menschheit.

Bei diesen Gebeten wurde mir klar, dass letztlich nicht unser Handeln, sondern nur das Lieben zählt. Nicht die menschliche Weisheit und unser rastloses Tun können die Welt retten, sondern einzig die Liebe Gottes, die in jedem von uns lebt und in uns wirken soll. Mit menschlichen Maßstäben gemessen war das Leben Jesu eine Niederlage, jedoch mit den Augen der Liebe besehen legte es den Grundstein zu unserer Erlösung und besiegte sogar den Tod. Ich schloss die Augen und betete mit dem Psalmisten (Nr. 139): Du umschließt mich von allen Seiten und legst deine Hand auf mich. Als ich meine Augen wieder öffnete, sah ich in gleißendem Lichte einen Seraph über mir schweben, der jedoch mit ausgebreiteten Händen und aneinandergelegten Füssen ans Kreuz geheftet war. Und plötzlich verspürte ich einen heftigen Druck gegen meinen Körper und da wusste ich, dass mir Christus begegnet war. Nein, eine tiefere mystische Erfahrung konnte es nicht geben! Freude und Schmerz erfüllten gleichzeitig mein Herz und meine Seele, und plötzlich war mir klar, was Erlösung bedeutete. Ich sah das Tor zum Paradies weit offen!

ERZÄHLER: In den folgenden Wochen verschlechterte sich der Gesundheitszustand Francescos immer mehr, doch dieser Umstand konnte dem armen Bruder aus Assisi seine innere Glückseligkeit nicht rauben. Er wusste, dass er nur mehr kurze Zeit zu leben hatte, und dennoch – besser gesagt: gerade deshalb - schuf er im Winter dieses Jahres, während eines Aufenthaltes bei den Schwestern von S. Damiano seinen berühmten Lobpreis Gottes, den Sonnengesang, oder – wie er im Italienischen zutreffender genannt wird - Il cantico delle creature, den ‚Lobgesang auf Gott durch seine Geschöpfe’. Viel ist über diese Dichtung geschrieben worden, die am Anfang der italienischen sakralen Poesie steht, doch für uns ist hier nur eines wichtig: Franziskus wollte ein Gebet schaffen. Thomas von Celano hat dies mit folgenden Worten zum Ausdruck gebracht: Damals dichtete er das Loblied auf die Geschöpfe und feuerte sie an, nach Kräften den Schöpfer zu preisen.

REZITATOR A: 

Sonnengesang

Erhabenster, allmächtiger, guter Herr,

dein sind der Lobpreis, die Herrlichkeit

und die Ehre und jegliche Benedeiung.

Dir allein, Erhabenster, gebühren sie

und kein Mensch ist würdig, dich zu nennen.

 

Gepriesen seist du, mein Herr,

mit allen deinen Geschöpfen,

zumal der Herrin, Schwester Sonne,

denn sie ist der Tag,

und spendet das Licht uns durch sich.

Und sie ist schön und strahlend in großem Glanz

Dein Sinnbild trägt sie, Erhabenster.

 

Gepriesen seist du, mein Herr,

durch Bruder Mond und die Sterne,

am Himmel hast du sie gebildet,

hell leuchtend und kostbar und schön.

 

Gepriesen seist du, mein Herr,

durch Bruder Wind und durch Luft und Wolken

und heiteren Himmel und jegliches Wetter,

durch welches du deinen Geschöpfen den Unterhalt gibst.

 

Gepriesen seist du, mein Herr,

durch Schwester Wasser,

gar nützlich ist es

und demütig und kostbar und keusch.

 

Gepriesen seist du, mein Herr,

durch Bruder Feuer,

durch das du die Nacht erleuchtest;

und es ist schön und liebenswürdig

und kraftvoll und stark.

 

Gepriesen seist du, mein Herr,

durch unsere Schwester, Mutter Erde,

die uns ernährt und lenkt

und mannigfaltige Frucht hervorbringt

und bunte Blumen und Kräuter.

 

Gepriesen seist du, mein Herr,

durch jene, die verzeihen um deiner Liebe willen

und Schwachheit ertragen und Drangsal.

Selig jene, die solches ertragen in Frieden,

denn von dir, Erhabenster, werden sie gekrönt.

 

Gepriesen seist du, mein Herr,

durch unseren Bruder, den leiblichen Tod;

ihm kann kein Mensch lebend entrinnen.

Wehe jenen, die in schwerer Sünde sterben.

Selig jene, die sich in deinem allheiligen Willen finden,

denn der zweite Tod wird ihnen kein Leides tun.

 

Lobet und preiset meinen Herrn

und erweiset ihm Dank

und dient ihm mit großer Demut.

 

ERZÄHLER: Möglicherweise hat Franziskus seinen Sonnengesang nicht in einem Zug geschaffen, sondern fügte die beiden letzten Strophen erst etwas später an: die sogenannte „Friedensstrophe“, um den Bischof Guido von Assisi mit dem Podestà der Stadt zu versöhnen und um seinen Heimatort für immer zu einer Stätte des Friedens zu machen, und die abschließende „Todesstrophe“ dürfte unmittelbar vor dem Ableben des großen Fratello entstanden sein. Der Cantico delle creature begleitete also unseren Heiligen bis zu seinem Hinscheiden und wurde ihm gleichsam ein Stück der eigenen Existenz.

Franziskus wusste von der Freude der Nachfolge Christi und diese Kenntnis gab ihm Zuversicht und Fröhlichkeit. Er hat seinen Brüdern gesagt, dass der Herr sie gerade dazu in die Welt gesandt habe, um in „Wort und Werk für Seine Stimme Zeugnis“ abzulegen. Es ist ja gerade dies das Geheimnis des Lebens und Wirkens Francescos, dass er mit seiner ganzen Existenz bestrebt war, an Jesus Christus und seine liebende Hingabe zu erinnern. Deshalb galt es ihm auch als das wahre Apostolat aller, die seiner Lebensform zu folgen bereit waren, dass sie – in des Herrn Fußspuren wandelnd – „die Menschen mit Fröhlichkeit und Freude zur Liebe Gottes“ hinführen sollten.

 Musik