Ordo Fratrum Minorum (OFM)
Wappen des Minoritenordens





790
230
100



 

Lange Nacht der Kirchen 2014
in der Minoritenkirche



1224 - 1784 - 1914 Drei Daten, drei Jubiläen:

1224: Die Gründung des Wiener Konvents der Minoriten
und das Rätsel des Verbleibs des Hochgrabes der Blanche von Valois


Meditation
für die "Lange Nacht der Kirchen" am 23. Mai 2014

verfaßt von Dr. Manfred Zips



Rollen:

Erster Erzähler  (Dr. Manfred Zips),
Zweiter Erzähler  (Mag. Giacomo Borioni),
Rezitator A 
(Christiane Zips),
Rezitator B 
(P. Thomas Manalil OFM)

Musik:
Dr. Eberhard Kummer (Harfe, Drehleier)


Einleitung

Im Jahr 2013 gedachten wir im Rahmen der „Langen Nacht der Kirchen“ des 200. Geburtstages eines italienischen Musik-Giganten, nämlich Giuseppe Verdis (1813-1901), weshalb unser „Coro Salieri“ dessen „Pater Noster“ hier zur Aufführung brachte. Demgegenüber erinnert uns das Gedenkjahr 2014 an gleich drei Jubiläen, welche unsere Minoritenkirche in sehr positiver Weise betreffen.

Wir gedenken in diesem Jahr der Gründung des Wiener Minoritenkonvents zum Hl. Kreuz vor 790 Jahren, der 230. Wiederkehr der Schenkung der Minoritenkirche an die Italienische Kongregation, welche durch das kaiserliche Dekret Josephs II. vom 3. Juni 1784 wirksam wurde, und schließlich des 100. Jahrestages der Erhebung des heiligen Klemens Maria Hofbauer durch Papst Pius X. zum Patron der Stadt Wien am 14. Jänner 1914. Dieses Ereignis betrifft nämlich auch die Italienische Kongregation an der Minoritenkirche, da der heilige Klemens Maria fünf Jahre lang, von 1808 bis 1813, in diesem Gotteshaus, welches inzwischen als Kirche der Italiener der „Madonna della Neve“ - Maria Schnee geweiht war, als Seelsorger wirkte.


 ***

 

Meditationen:

  Antonius von Padua (2009)
 
Giordano da Giano (2009)
 
Jacopone von Todi (2009)
 
Franziskus (2010)
 
Coelestin V. (2011)
 
Westportal (2011)
 
Ludwig von Toulouse (2012)
 
Heilige der Kongregation (2013)
 
Heilige Cäcilie (2014)
 
790 Jahre Minoriten (2014)
  230 Jahre Maria Schnee (2014)
  Klemens M. Hofbauer (2014)
 
Katharinenkapelle (2015)
  390 Jahre It. Kongregation (2015)
 
Frauen im Banne der Minoritenkirche (2016)
 
Eine Liebeserklärung in Stein (2016)
   Franziskus v. Assisi (2018)


 L.N.K. in der Minoritenkirche

 

 


 

 


 

  Die Gründung des Wiener Konvents der Minoriten
 
 


Heiliger Franz von Assisi
Fresko-Fragment des Lettners der Minoritenkirche



Detail aus dem Wien-Plan von Bonifaz Wolmuet von 1547
Reproduktion von Albert Camesina aus 1857


Detail aus dem Wien-Plan von Suttinger aus 1684
Lithographische Reproduktion von Albert Camesina aus 1876


Detail aus dem Wien-Plan von Werner Arnold Steinhausen 1710
Reproduktion von Gustav Adolph Schimmer aus 1847



Detail aus dem Wien-Plan von Joseph Nagl aus 1770


Das Wiener Minoritenkonvent Sanctæ Crucis (1710)
(Nachzeichnung von Karl Weiss um 1865)

 

Erster Erzähler: Beginnen wir unseren „Jubiläums-Reigen“ rund um die Minoritenkirche mit dem Jahr 1224! In diesem Jahre – so weiß es die minoritische Geschichtserinnerung – kamen die ersten Brüder des heiligen Franziskus von Assisi in die babenbergische Residenzstadt Wien. Dabei sei die Initiative von dem Herzog Leopold VI, dem Glorreichen, ausgegangen, dessen Herrschaft sicherlich den Höhepunkt babenbergischer Machtentfaltung einläutete. Der genannte Landesherr trat 1217 eine Kreuzfahrt an, begleitet von bedeutenden österreichischen sowie steirischen Ministerialen, und erreichte schließlich die ägyptische Hafenstadt Damiette. Doch schon im Juni 1219 war er wieder am päpstlichen Hof in Rieti und urkundete im Herbst dieses Jahres erneut in Österreich. Auf jener Heimreise habe nun der Herzog – so will es die spätere minoritische Geschichtsschreibung - in Assisi den hl. Franz getroffen und ihn gebeten, beeindruckt von der tiefen Spiritualität der Bruderschaft, einige Angehörige der Gemeinschaft auch nach Wien zu schicken. Im Jahre 1224 seien dann tatsächlich die ersten Minderbrüder in die Residenzstadt gekommen, wo man ihnen ein Grundstück, wahrscheinlich schon mit einem Kirchlein, schenkte.

Die Schwierigkeit, mit welcher diese historische Darstellung zu kämpfen hat, besteht nun darin, dass sie nicht auf alte Quellen zurückgreifen kann, sondern auf Aussagen des 17./18. Jahrhunderts beruht. Man bezieht sich vor allem auf den sogenannten „Geschichtsschreiber“ des Ordens aus dem 18. Jh., der sich auf ältere Darstellungen beruft und dessen Überlieferung von mehreren Ordenschronisten übernommen wurde. So konnte es schließlich nicht ausbleiben, dass die hier geäußerte Meinung von den Historikern schon im 19. Jh. hinterfragt wurde. Während man also in der Festgabe des Minoritenkonvents zum Jahre1974 lesen kann, dass 1224 als Termin der Ankunft der Brüder historisch gesichert sei, wurde andrerseits bereits 1882 diese These als ein Missverständnis eines Autors des 17. oder vielleicht sogar erst 18. Jahrhunderts bezeichnet. Vielmehr habe es eine größere Wahrscheinlichkeit, die bleibende Niederlassung der Minderbrüder in Wien erst um das Jahr 1230 anzusetzen, denn man müsse jedenfalls annehmen, dass die Jünger des hl. Franz hier bereits einige Jahre vor ihrer ersten urkundlichen Erwähnung (1234) sesshaft wurden, umso mehr, als schon 1235 von einer eigenen österreichischen Provinz die Rede ist. Jener Meinung schlossen sich dann auch spätere Historiker an oder versahen zumindest die minoritische Zeitangabe mit einem Fragezeichen. Diese Ansicht veranlasste nun wiederum 1894 den Rektor der Minoritenkirche, Giovanni Salvadori (der übrigens kein Minorit war), zu der sarkastischen Feststellung, er könne sich nicht vorstellen, dass die Patres im Jahre 1230 wie die Champignons aus dem Boden geschossen seien, was man aber annehmen müsste, wenn bereits nach 4-5 Jahren eine Zahl erreicht worden wäre, welche die Bildung einer eigenen Provinz notwendig machte.

Nun mag dieser Streit „a prima vista“ sehr akademisch anmuten, falls man nicht – wie es mehrfach geschah - davon ausgeht, es sei der Bruderschaft nur darum gegangen, durch das Beharren auf der frühen Einrichtung der Wiener Ordensniederlassung eine Steigerung des Ansehens und des Prestiges zu erreichen, denn damit wäre die Gründung des Konventes ja noch in der Lebenszeit des umbrischen Stifters erfolgt (Franziskus von Assisi starb bekanntlich am 3. Oktober 1226).

Doch die wahre Ursache für das Festhalten an einem Gründungsjahr 1224 dürfte religiöse Wurzeln haben. So konnte man im Wiener Minoritenarchiv eine Urkunde ausfindig machen, in der verzeichnet steht, dass der Bischof Berthold von Passau 1251 den Konvent der Minderbrüder zu Ehren des heiligen Kreuzes eingeweiht habe. Dieses Patrozinium, welches bis zur Übersiedlung der Bruderschaft 1783/84 in das vormalige Trinitarierkloster die Minoritenkirche kennzeichnete, war durch die Darstellung Christi auf einem Astkreuz im Zentrum der majestätischen spätgotischen Dreierportalgruppe an der Westseite des Gotteshauses (um 1340/50 entstanden) für alle Eintretenden unübersehbar. Doch die Minoriten verbanden mit dem Kreuzestod des Erlösers noch ein anderes, mit ihrem Ordensgründer in Beziehung stehendes, Ereignis, nämlich die Stigmatisation, die Übertragung der Wundmale Jesu, auf Franziskus von Assisi auf dem Berg La Verna, ebenfalls am Westportal dargestellt, und zwar im Tympanon des rechten zugemauerten Eingangs. Dieses Geschehnis fand nun – der franziskanischen Geschichtserinnerung zufolge – um das Fest Kreuzerhöhung (14. September) des Jahres 1224 statt. Deshalb brachte man auch in Erinnerung an diese himmlische Auszeichnung für den Ordensgründer im Jahre 1697 über dem Klostertor des Wiener Konventes eine lateinische Inschrift an, die nicht nur der Initiative Leopolds VI. gedenkt, sondern die Gründung der Niederlassung unmittelbar mit der Stigmatisierung des Heiligen in Verbindung bringt, da eben beide Geschehnisse dem gleichen Jahr 1224 zugeschrieben werden. Zum Jahre 1724 veröffentlichten die Wiener Minoriten daher auch eine Gedenkschrift, deren umfänglicher lateinischer Titel einerseits die Übertragung der Wundmale Christi auf den Poverello durch den Seraph in Erinnerung ruft und andrerseits der Freude des 500jährigen Bestandes des Wiener Konventes zum Heiligen Kreuz Ausdruck verleiht.

Musik:
Carmina Burana "Ave nobilis"

 


Leopold VI. "der Glorreiche"
13. Jh. Steyrer Stadtpfarrkirche


 

 

 

 

 

 

 

 

 


Wappen des Bistums Passau
Siebmachers Wappenbuch aus 1605


Astkreuz am mittleren Portal
der Minoritenkirche



Stigmatisierung des hl. Franziskus
am rechten Seitenportal

  Das Rätsel des Verbleibs des Hochgrabes der Blanche v. Valois
 
 


Grabmal der Herzogin Blanche von Valois Gattin von Rudolf III
.
Graphik von Marquard Herrgott
(Info) aus 1772


Langchor der Minoritenkirche

 

 


J. F. Hetzendorf v. Hohenberg
Bild: planet-vienna.com

Zweiter Erzähler:  Und noch ein anderes Dokument soll hier Erwähnung finden: 1727 wurde ein „Protocollum“ angefertigt, in welchem die Stiftungen bei den Minoriten in Wien zusammengestellt sind. Das Manuskript setzt ebenfalls mit dem Jahre 1224 ein und verknüpft die Stigmatisation „des Heyligen Vatters Francisci“ mit der vom Herzog Leopold gewünschten Minoritengründung. Diese Schrift verdient allerdings noch aus einem anderen „Jubiläumsgrund“ Beachtung: Sie verzeichnet nämlich eine bedeutende Wohltäterin des Klosters, nämlich die Gemahlin des habsburgischen Herzogs Rudolf III., Blanche (Blanka) von Valois, Tochter des französischen Königs Philipp III. Diese fasste 1304, also vor 710 Jahren, nach dem Tode ihres neugeborenen Kindes ihr Testament ab, in welchem sie neben großzügigen Spenden an den Minoritenorden auch einen ansehnlichen Betrag für die Errichtung eines Marmorgrabmals für sich bereitstellte. Tatsächlich entstand nach ihrem Tode (1305) – ausgeführt von einem unbekannten Künstler - im heute nicht mehr existierenden Langchor des Gotteshauses ein prächtiges marmornes Hochgrab, das seinerzeit sicherlich zu den schönsten Kunstdenkmälern Wiens zählte und heute – falls es erhalten geblieben wäre – in unserem Kulturraum kein Gegenstück hätte. Da das Kunstwerk in dem von Marquard Herrgott 1772 herausgegebenen Situationsplan der habsburgischen Gräber abgebildet ist, kennen wir sein ungefähres Aussehen. Deshalb kann auch ein Autor des 19. Jahrhunderts an Hand dieser Zeichnung dessen unvergleichliche Schönheit rühmen.

Nach dem Bericht eines Augenzeugen – publiziert in der Geschichte der Haupt- und Residenzstadt Wien vom Ende des 18. Jahrhunderts – ging dieses Monument im Zuge des Umbaus der Kirche 1784-86 verloren. Doch schon wenige Jahrzehnte nach diesem Verlust gaben sich einige kunstbegeisterte Menschen nicht mit dem Beklagen dieses Umstandes zufrieden, sondern erwirkten die Erlaubnis, am Ende der Kellergewölbe des Gotteshauses eine Grabung durchführen zu lassen, in der Hoffnung, das gesuchte Kunstwerk sei nicht zerstört worden, sondern man habe es nach Abriss des alten sogenannten „Langchores“ in dem weitläufigen Keller unter der Kirche abgestellt. Im April 1843 begannen die Grabungsarbeiten. Die Erwartungen richteten sich auf jene Stelle, wo die Kellergewölbe unter jenem Chor aufhörten und durch eine senkrechte Mauer nach Süden hin abgeschlossen waren. Als man diese durchstoßen hatte, erreichte man aber nur einen mit Erde ausgefüllten Raum. Damit war endgültig klar: Das Grabdenkmal der Herzogin Blanka befand sich nicht mehr im Bereich der Minoritenkirche. Erst dem Kirchenrektor Salvadori gelang zumindest eine Teilantwort auf die Frage, wohin das Monument gebracht worden sein konnte. Er präsentierte in seinem Buch über die Minoritenkirche ein Dokument des Kustos der italienischen Kongregation, Domenico Benvenuti, der berichtet, dass das Grabmal 1784 anlässlich der erwähnten Kirchenrenovierung dem mit den Arbeiten betrauten Hofarchitekten Johann Ferdinand Hetzendorf von Hohenberg (Vita/Info) übergeben wurde. Möglicherweise – so lässt sich heute vermuten – wanderte das Kunstwerk in das Privatlapidarium des Architekten beim Ballhausplatz und wurde vielleicht sodann stückweise an reisende Sammler verkauft.
 

Manfred Zips

MUSIK:
Mönch von Salzburg "Uterus virineus"


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Teil 3 >

 



Philipp III. (1245-1285)
Vater von Blanche (1282-1305)

 

 

 


Verschüttete Grüfte unter der heutigen Kirche,
Planskizze nach Architekt Giacomelli 1909
1. Hoyos-Gruft / 2. Gruft der Fam. Rödl / 3. Rappach-Gruft /
4. Gruft der Bruderschaft der Heiligen Franziskus und Antonius /
5. Gruft der Bruderschaft des Hl. Kreuzes



Dr. Zips, Dr. Kummer, Mag. Borioni

 

Weiterlesen:
Geschichte der Minoritenkirche
Geschichte der Katharinenkapelle