ARCHIVIO - ARCHIV

 

DAS ARCHIV DER ITALIENISCHEN KONGREGATION IN DER MINORITENKIRCHE

Ein Herzstück der italienischen Kongregation an der Wiener Minoritenkirche ist das Archiv, welches sich in jenem Trakt befindet, der um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert direkt an die Südseite der Kirche – oberhalb des neugotischen Durchganges - angebaut wurde. Hier werden Dokumente, Bücher, Briefe und verschiedene andere Zeugnisse – wie etwa päpstliche und amtliche Erklärungen sowie alte Zeitungen, Namensregister und viele Rechnungen - in italienischer, deutscher und lateinischer Sprache aufbewahrt, die zum Teil bis in das 17. und 18. Jahrhundert zurückreichen.

Um dieses Archivmaterial in seiner Bedeutung richtig einordnen zu können, ist es notwendig, wenigstens kurz auf die Geschichte der italienischen Kongregation in Wien einzugehen. Die Congregazione Italiana wurde 1625/26 von dem Jesuiten Guglielmo Lamormaini, Professor an der Universität Wien und Beichtvater von Kaiser Ferdinand II., gegründet. Sie hielt vorerst ihre Versammlungen und Andachtsübungen in einem Oratorium des Jesuitenklosters am Hof ab, doch schon bald übersiedelte die Gemeinschaft in eine Kapelle in der Bognergasse, wo sie bis 1773 blieb. Die überaus straffe und rigide Führung der Kongregation durch die Jesuiten, welche den gesamten Vorstand mit dem Präfekten, zwei Assistenten, vier Räten und einem Sekretär ernannten, beschwor eine gefährliche Krise innerhalb der Gemeinschaft herauf, so dass zu Ende des 17. Jahrhunderts sogar die Auflösung der Vereinigung drohte. Diese schwierige Situation dauerte  letztendlich bis zum Jahre 1773 an, als der Jesuitenorden durch Papst Clemens XIV. vorübergehend aufgehoben wurde, Eine Abschrift der päpstlichen Erklärung dieses Inhalts befindet sich im Archiv der Kongregation. Zwar erlangte die Congregazione auf solche Weise ihre Freiheit, sie büßte jedoch gleichzeitig auch die Möglichkeit ein, sich in der  Bognergasse zu versammeln, da die Regierung jene Kapelle in Beschlag nahm. Um dieser Zwangslage abzuhelfen, bemühte sich die Gemeinschaft, in der heute nicht mehr existierenden minoritischen Katharinenkapelle am Ballhausplatz, welche im Volk seit dem 13. Jahrhundert als „italienische Kirche“ bekannt war, ein neues Zuhause zu finden, was dank einer Vermittlung der Kaiserin Maria Theresia tatsächlich gelang. Am 1. Februar 1775 wurde das Kirchlein zu Ehren der „Madonna della Neve“ (‚Maria Schnee’) eingeweiht. Davon berichtet das Jahrbuch der Wällschen Nationalkirche, welches sich im Archiv der Kongregation befindet. Trotz dieser schlussendlich positiven Entwicklung besteht dennoch Grund zur Annahme, dass in jener unruhigen Zeit alte Dokumente der Gemeinschaft verschwunden sind.

1690 wurde zudem eine italienische Hilfsbruderschaft gegründet, die Confraternità del Sovvegno, die es sich zum Ziel setzte, armen und kranken Mitgliedern beizustehen. Da deren Gotteshaus, die Magdalenenkirche nächst St. Stephan, 1781 ein Opfer der Flammen geworden war, übersiedelte die Bruderschaft ebenfalls in das Kirchlein „Maria Schnee“ auf dem Ballhausplatz. Im Archiv befindet sich noch das Schreiben der „Arciconfraternità del Sovvegno“ an Kaiser Joseph II. vom Jahre 1781 mit der Bitte um Zuweisung der „Chiesa italiana vicino alli Minoriti“. Schließlich kam es 1783 zur Vereinigung der beiden Interessensgruppen, vorerst unter dem Namen Unione nazionale italiana und dann unter der endgültigen Bezeichnung Congregazione della Chiesa nazionale italiana. Damals war Giovanni Evangelista MILANI (1729-1808) Präfekt der Kongregation, wohl bis zur Gegenwart die bedeutendste Persönlichkeit an der Spitze der Vereinigung. Er stammte aus Ferrara und war Kaffeehausbesitzer auf dem Kohlenmarkt. Im Archiv befinden sich zahlreiche Zeugnisse seines Wirkens für die italienische Gemeinschaft.

Doch der jetzt erreichte Zustand sollte nicht von langer Dauer sein. Schon bald nach dem Zusammenschluss der beiden italienischen Gesellschaften, im Jahre 1783, befahl Joseph II. die Übersiedlung der Minoriten in die frühere Kirche der Trinitarier in der Alser-Vorstadt und übertrug die nun frei gewordene Minoritenkirche mit Dekret vom 3. Juni 1784 auf die Congregazione. Im Archiv befinden sich zwei Abschriften dieses Erlasses, in dem geschrieben steht, ‚Seine Majestät’ habe bewilligt, dass ‚der Nation’ „die Ehemalige Minoriten Kirche eingeraumet werde“, da die bisher in Verwendung stehende Kapelle für die etwa 7000 in Wien lebenden Italiener zu klein sei. Dafür wurde der Gemeinschaft jedoch die „Cappella italiana“ entzogen. Erneut oblag es nun der Congregazione, ein Gotteshaus, nun aber eine Riesenkirche, zu restaurieren, ein Umstand, der die Gemeinschaft in große Schulden stürzte. Nach der gründlichen Neugestaltung der Kirche durch den Hofarchitekten Johann Ferdinand Hetzendorf von Hohenberg fand am 16. April, am Ostersonntag des Jahres 1786, die feierliche Einweihung der umgestalteten, nunmehr ehemaligen, Minoritenkirche zu Ehren der Madonna  della Neve statt.

In Zukunft erfreute sich die italienische Kongregation mehrfach des besonderen Wohlwollens des Kaiserhauses. So überließ ihr Kaiser Ferdinand im Jahre 1847 das von Giacomo Raffaelli im Auftrag Napoleons angefertigte und von Franz II. (I.) erworbene Mosaik vom letzten Abendmahl, und 1852 trat Kaiser Franz Joseph der Congregazione bei. Letzterer bezahlte jedes Jahr den auswärtigen Fastenprediger, wofür er von der italienischen Vereinigung zu Maria Lichtmess sowie am Palmsonntag die geweihte Kerze bzw. den Ölzweig erhielt. Im ‚Goldenen Buch’ der Kongregation hat der Monarch mit „Francesco Giuseppe“ unterschrieben.

Schließlich sei noch erwähnt, dass die Congregazione 1957 den Beschluss fasste, wieder die Minoriten mit der Abhaltung des Gottesdienstes zu betrauen. Durch die Verfügung des Wiener erzbischöflichen Ordinariates vom 1. Dezember 1957 trat dieser Beschluss offiziell in Kraft.

Im Folgenden seien nun einige wichtige Dokumente unseres Archivs genannt:

-      An erster Stelle ist das „Goldene Buch der Kongregation“ vom Jahre 1775 zu nennen (Reg. 10). Es enthält unter anderem Namen und Wappen der Päpste Pius VI. (1775-1799), Pius VII. (1800-1823), Leo XII. (1823-1829), Pius VIII. (1829-1830) und Gregor XVI. (1831-1846); Kaiser Franz II. (I.) mit Madonna und Jesuskind sowie Erzherzog (und späterer Kaiser) Ferdinand mit einem Medaillon des hl. Leopold. Von besonderer Wichtigkeit ist der Abschnitt „Nomi di Sovrani ed altri Principi Reali che si sono degnati ascriversi di proprio carattere nella Congregazione Nazionale Italiana secondo l’Epoca che sono entrati”: An dieser Stelle liest man nicht nur die Namen der obengenannten Päpste, sondern hier sind auch neben dem bereits erwähnten Kaiser Franz und „Arciduca Ferdinando, Ereditario d’Austria“, Kaiser Leopold I. sowie weitere Angehörige des hohen Adels, wie z.B. „Arciduca Ferdinando - Gran Duca di Toscana”, „Maria Luisa - Duchessa di Parma”, „Antonio - Gran Maestro dell’Ordine Teutonico”, „Erzherzogin Maria – Großherzogin der Toscana”, „Leopoldo - Ereditario di Toscana”, „Maria Teresa - Principessa di Savoia e Carigniano”, „Ferdinando I. - Re del Regno delle due Sicilie”, „Arciduca Ferdinando d’Este”, „Sua Maestà Maria Anna - Regina d’Ungheria” etc. verzeichnet. Darnach folgt eine Zusammenstellung der „Nomi di Fratelli e Benefattori“, die Unterschrift Kaiser Franz Josephs (als Francesco Giuseppe) sowie seiner Gemahlin Elisabeth und schließlich die alphabetische Liste der Kongregaten (vor jedem neuen Buchstaben des Verzeichnisses befindet sich ein koloriertes Blatt mit einem Madonnenbildnis) und der „Signore Agregatte alla Unione“, jeweils mit Angabe des Eintritts in die Gemeinschaft und in vielen Fällen auch des Sterbedatums. Besonders hervorzuheben ist wohl die Nennung des „Gran Poeta Mettestasio“ (eingetreten 1781) sowie des Komponisten „Antonio Sallieri“ (eingetreten 1775). Beigelegt ist dem Buch eine Karte mit der Widmung des Papstes Pius IX., der sich für die Aufnahme in das Verzeichnis der Ehrenmitglieder der Congregazione bedankt.

 

Im Folgenden sollen weitere wichtige Schriftzeugnisse in der Reihung ihrer Inventarisierung genannt werden:

-      Verschiedene Inventare sowie Namenskataloge von Mitgliedern der Congregazione bzw. der Confraternità del Sovvegno, die z.T. bis in das ausgehende 17. Jh. zurückreichen. Aus dieser Gruppe ist vor allem der „Registro delle Cariche dell’Unione“ des Jahres 1776 hervorzuheben (Reg. 11), der sich allerdings in einem sehr schlechten Zustand befindet. Dieser Band trägt den Titel: „Registro delli Signori Officiali del Triennio in Carica … al Governo della Unione Nazionale Italiana Esistente in Vienna Sotto il Tittolo di Santa Maria della Neve”. Er umfasst die Jahre 1776-1794. Der Aufstellung lässt sich entnehmen, dass Antonio Salieri im Triennium 1776-1779 den 18 „Agiunti al Corpo“ der Unione angehörte, doch es findet sich bei seinem Namen die Anmerkung: „Transferito nel Corpo de 36“. Im Zeitraum von 1782-1785 scheint Salieri unter den „Cosultori“ auf, doch im Triennium 1785-1788 – und weiter bis 1794 - ist er wieder nur den „36 Componenti“ des „Corpo della Nazione Italiana“ zugeordnet.

-      Darnach folgt eine Sammlung von Statuten aus den Jahren 1776-1882 (Reg. 38-48).

-      Die nächste Dokumentengruppe betrifft Protokolle und Resolutionen bzw. Vereinsinterna der Congregazione bzw. der Unione von 1774-1890 (Reg. 49-65). Hervorzuheben sind Reg. 49 und 50, welche eine Geschichte der Congregazione italiana von ihren Anfängen bis 1777 bzw. bis 1791 bieten. Entstanden sind die beiden Codices in der Zeit von 1774-1777 bzw. 1774-1791.

-      Mit Reg. 66 beginnt die Sammlung der „Decreti e Documenti“, welche bis Reg. 78 reicht. Hier finden sich äußerst wichtige Zeugnisse, welche über die Geschichte der Congregazione Aufschluss geben. Es ist im Rahmen dieser Präsentation völlig unmöglich, alle interessanten Schriften zu erwähnen. Vielmehr müssen wir uns mit der Aufzählung einiger wichtiger Belege begnügen.

Reg. 68: Bewilligung der Vereinigung der ‚Italienischen Nationalkirche’ mit der Confraternità del Sovvegno durch Kaiser Joseph II. (1783); die Kapelle S. Maria della Neve“ wird vom Kaiser beansprucht (1786); „Wiener Zeitung“ vom 19.4.1786 sowie „Foglietto di Vienna“ vom 22. April 1786 - Bericht über die Fertigstellung der ehem. Minoritenkirche sowie über den Festgottesdienst am Ostersonntag dieses Jahres (16. April 1786); Papiere zum Besuch von Papst Pius VI. in Wien; Bitte Milanis an den Kaiser um Überlassung von Kunstgegenständen aus der ehem. Schwarzspanierkirche (1784); Fürst Palm spendet das Altarbild von Ignazio Unterberger, das Dankeschreiben Milanis enthält die Unterschrift des Künstlers.

Reg. 71: Kaiserliche Entschließung vom 3. Juni 1784 mit der Bewilligung, dass der ‚Nation’ die „Ehemalige Minoriten Kirche eingeraumet werde“.

Reg. 78: Liste der „Predicatori Quaresimali“ von 1775-1828.

 

-      Von Reg. 79-89 sind die Rechnungslegungen der Jahre 1774-1825 gesammelt. Zu erwähnen ist Reg. 79, weil sich hier eine „Nota delle spese da me fatte per la Messa della Nazione Italiana“ Antonio Salieris vom 7. Jänner 1775 findet. Reg. 86 ist Salieri mehrfach als Spender verzeichnet. Im Jahre 1825 starb bekanntlich der italienische Komponist.

 

Für die folgenden Jahre bis zur Gegenwart kommt nun vor allem der Rechnungs- und Buchführung der Congregazione ein besonderes Gewicht zu. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang etwa Reg. 129, wo die Kosten für die Anbringung der Mosaikreproduktion des „Letzten Abendmahles“ Leonardo da Vincis durch Giacomo Raffaelli der Jahre 1845-48 zusammengestellt sind (weitere Dokumente zu diesem Thema finden sich Reg. 184), oder  Reg. 171, wo die Frage der Verbindlichkeiten der Vereinigung gegenüber Ferdinand von Hohenberg thematisiert wird (30.6.1788). Andererseits wird im Reg. 149 auf die Silberhochzeit Kaiser Franz Josephs und seiner Gemahlin Elisabeth Bezug genommen, und Reg. 176 ist in einem Schriftstück vom 26. März 1847 von „Medaglie coniate in due metalli per la faust inaugurazione nella chiesa della Cena di Leonardo da Vinci, lavoro insigne del Raffaeli in Mosaico“ die Rede. Im Reg. 187 finden sich „Carte relative al Monumento di Metastasio nella Chiesa” und Reg. 205-206 sind die weiteren Fastenprediger bis 1879 (an späterer Stelle fortgesetzt bis 1910) verzeichnet. Erwähnenswert sind natürlich auch die ausgedehnte Briefsammlung (Reg. 207-238), die hier nicht weiter behandelt werden kann, sowie die nicht wenigen Umbaupläne, wobei vielleicht den nur teilweise realisierten Bauplänen des Architekten Viktor Luntz eine besondere Bedeutung zukommt.

 

Kürzlich haben wir das Registerverzeichnis unserer Congregazione auf den letzten Stand gebracht. Es umfasst bis zur Gegenwart 513 Signaturen. Derzeit werden die Dokumente des Archivs gescannt. Klarerweise handelt es sich hierbei um eine Arbeit, die noch einige Jahre in Anspruch nehmen wird; dennoch soll das bisher aufgearbeitete Material in absehbarer Zeit ins Internet gestellt werden.

 

Literaturangaben zur Minoritenkirche bzw. zur italienischen Kongregation:

SALVADORI, Giovanni: Die Minoritenkirche und ihre älteste Umgebung. Ein Beitrag zur Geschichte Wiens, Wien 1894.

PARUCKI, Maria: Die Wiener Minoritenkirche, Wien-Köln-Weimar 1995.

AGOSTINETTI, Nino: La Chiesa nazionale italiana dei Minoriti nella Vienna Asburgica, Padova 1997.

GIULIANI, Giovanni: Minoritenkirche. Guida storico-artistica.

BRAUNEIS, Walther: Die italienische Congregation in Wien. Geschichte und Zielsetzungen einer nationalen Interessensvertretung in Wien der Mozart-Zeit, in Mitteilungen der internationalen Stiftung Mozarteum 3-4 (1999). Wieder abgedruckt in Mozart und Salieri – Partner oder Rivalen? Das Fest in der Orangerie zu Schönbrunn vom 7. Februar 1786, hrsg. Von P. BUDRONI, Göttingen 2008.

 

Manfred Zips